Führerweisung Nr. 40, 23.3.1942

Hitlers Weisungen, s. 176-181.

Führerweisung Nr. 40 vom 23. März 1942

Betr.: Befehlsbefugnisse an den Küsten.

 

I. Grundlagen:

Die europäischen Küsten sind in der kommenden Zeit der Gefahr feindlicher Landungen in stärkstem Masse ausgesetzt.

Der Feind wird hierbei Zeitpunkt und Ort seiner Landeunternehmungen nicht allein von operativen Gesichtspunkten abhängig machen. Mißerfolge auf anderen Kriegsschauplät­zen, Verpflichtungen gegenüber den Verbündeten und politische Erwägungen können ihn zu Entschlüssen verleiten, die nach rein militärischer Beurteilung unwahrscheinlich sind. Auch feindliche Landeunternehmen mit begrenzten Zielen stören, sofern sie überhaupt zu einem Festsetzen des Gegners an der Küste fuhren, in jedem Fall unsere eigenen Absichten empfindlich. Sie unterbrechen den eigenen See-Verkehr unter der Küste und binden starke Kräfte des Heeres und der Luftwaffe, die damit dem Einsatz an entscheidender Stelle ent­zogen werden. Besondere Gefahren entstehen, wenn es dem Feind gelingt, auf eigenen Flugplatzen einzufallen oder sich in dem von ihm gewonnenen Gebiet Flugbasen zu schaf­fen.

Die vielfach an der Küste oder küstennah gelegenen militärisch oder wehrwirtschaftlich wichtigen Anlagen, die z. T. mit besonders wertvollem Gerat ausgestattet sind, bieten außerdem Anreiz zu Überfallartigen örtlichen Unternehmungen.

Besonders zu beachten sind die englischen Vorbereitungen für Landeunternehrungen an freier Küste, für die zahlreiche gepanzerte Landungsboote, eingerichtet für Kampfwagen und schwere Waffen, zur Verfugung stehen. Auch mit Fallschirm- und Luftlandeunterneh­mungen in größerem Ausmaß muß gerechnet werden.

 

II. Allgemeine Kampfanweisung für die Küstenverteidigung:

1. De Verteidigung der Küsten ist eine Wehrmachtaufgabe, die ein besonders enges, lückenloses Zusammenwirken der Wehrmachtteile erfordert.

2. Vorbereitungen, Bereitstellung und Anmarsch des Gegners für ein Landungsunternehmen rechtzeitig zu erkennen, muß das Bestreben des Nachrichtendienstes sowie der laufen­den Aufklarung von Kriegsmarine und Luftwaffe sein.

Gegen Einschiffung oder Transportflotten sind dann alle geeigneten Kräfte zur See und in der Luft mit dem Ziel zusammenzufassen, den Feind möglichst weit ab von der Küste zu vernichten.

Da aber eine geschickte Verschleierung und die Ausnutzung unsichtigen Wetters dem Gegner die Möglichkeit zu völlig überraschenden Angriffen gibt, müssen alle Truppe; die solchen überraschenden Aktionen ausgesetzt sein können, stets im Zustand voller Abwehrbereitschaft sein.

Das erfahrungsgemäß im Laufe der Zeit immer großer werdende Nachlassen der Auf­merksamkeit der Truppe zu verhindern, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Führung.

3. Im Kampf um die Küste - hierzu zahlt auch das Küstenvorfeld im Bereich der mittleren Küstenartillerie - muß in Auswertung der Kampferfahrungen der jüngsten Zeit die Ver­antwort ung für die Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung eindeutig und ohne Einschränkung in einer Hand vereinigt werden.

Der verantwortliche Befehlshaber hat hierzu alle verfügbaren Kampfkräfte und -mittel der Wehrmachtteile, der Gliederungen und Verbande außerhalb der Wehrmacht und der eingesetzten deutschen zivilen Dienststellen zur Vernichtung der Transportmittel des Feindes und seiner Landungstruppen so einzusetzen, daß der Angriff wenn möglich vor, spätestens aber nach dem Erreichen der Küste zusammenbricht

Gelandeter Feind muß in sofortigem Gegenangriff vernichtet oder in die See geworfen werden. Alle Waffenträger — gleichgültig, welchem Wehrmachtteil oder welchen Ver­bänden außerhalb der Wehrmacht sie angehören, sind hierzu einheitlich anzusetzen. Dabei müssen die erforderliche Arbeitsfähigkeit der an Land befindlichen Versorgungs­betriebe der Seestreitkräfte sowie die Einsatzbereitschaft der Flieger-Bodenorganisation und der Flakschutz der Flugplatze, soweit sie nicht ohnehin durch die Kampfhandlungen auf der Erde in Mitleidenschaft gezogen sind, gewährleistet bleiben.

Keine Befehlsstelle und kein Verband dürfen in einer solchen Lage eine Rückwärtsbewe­gung antreten. Wo deutsche Männer an oder in der Nahe der Küste eingesetzt sind, müssen sie bewaffnet und für den Kampf ausgebildet sein. Sofern Inseln in der Hand des Feindes eine Gefahr für das Festland oder für die Küstenschiffahrt bedeuten, mußver­hindert werden, daß sich der Feind auf ihnen festsetzt.

4. Kräftegliederung und Befestigungsausbau sind so vorzunehmen, daß der Schwerpunkt der Verteidigung an den Küstenabschnitten liegt, die in erster Linie als Landeplatze des Fein­des in Frage kommen (Befestigte Raume).

Die übrigen Küstenabschnitte, soweit sie durch Handstreich auch kleinerer Abteilungen gefährdet sind, müssen — möglichst in Anlehnung an die Küstenbatterien - stützpunkt­artig gesichert werden. In diese stutzpunktartige Sicherung sind alle militärisch und wehrwirtschaftlich wichtigen Anlagen einzubeziehen.

Die gleichen Grundsätze gelten für die vorgelagerten Inseln. Weniger gefährdete Küstenabschnitte sind zu überwachen.

5. Die Abschnittseinteilung an der Küste ist für die Wehrmachtteile in Übereinstimmung zu bringen, gegebenenfalls durch bindende Entscheidung des nach III. i. verantwortlichen

Befehlshabers.

6. Die befestigten Räume und Stützpunkte müssen durch Kräftebemessung, Ausbau (Rund­umverteidigung) und Bevorratung in der Lage sein, sich längere Zeit auch gegenüber überlegenem Gegner zu halten.

Befestigte Räume und Stützpunkte sind bis zum äußersten zu verteidigen. Niemals dür­fen sie aus Mangel an Munition, Verpflegung oder Wasser zur Übergabe gezwungen werden können.

7. Der nach III. 1. verantwortliche Befehlshaber erlaßt die Anordnungen für die Küsten­überwachung und stellt sicher, daß die Aufklarungsergebnisse aller Wehrmachtteile schnell ausgewertet, zusammengefaßt und den berufenen Kommandobehörden und zi­vilen Dienststellen übermittelt werden.

Sobald Anzeichen für eine bevorstehende feindliche Operation vorliegen, ist er berech­tigt, die notwendigen Richtlinien für eine einheitliche und sich ergänzende Aufklärung zur See und in der Luft zu geben.

8. Für die in Küstennahe eingesetzten Stäbe und Verbande der Wehrmacht sowie für alle Gliederungen und Verbande außerhalb der Wehrmacht gelten keine Friedensrücksichten. Ihre Unterkunft, ihre Sicherungsmaßnahmen, ihre Ausrüstung, ihre Alarmbereitschaft und die Ausnützung des Landes werden allein durch Notwendigkeit

stimmt, jedem feindlichen Überfall so rasch und so stark wie möglich entgegentreten können. Wo es die militärische Lage erfordert, ist die Bevölkerung schon jetzt zu evakuieren.

 

III. Befehlsbefugnisse:

1. Für die Vorbereitung und Durchführung der Verteidigung der Küsten, die sich im deut­schen Befehlsbereich befinden, sind verantwortlich:

a) im Operationsgebiet im Osten (ohne Finnland): die vom OHK bestimmten Befehlshaber des Heeres,

b) im Küstenbereich des AOK Lappland: der Oberbefehlshaber des AOK Lappland,

c) in Norwegen: der Wehrmachtbefehlshaber in Norwegen,

d)  in Dänemark: der Befehlshaber der deutschen Truppen in Dänemark,

e) in den besetzten Westgebieten (einschl. Niederlande): der Oberbefehlshaber West.

 

Die gemäß d) und e) verantwortlichen Befehlshaber werden für die Aufgaben der Küstenverteidigung unmittelbar dem Oberkommando der Wehrmacht unterstellt.

f) auf dem Balkan (einschl. der besetzten Inseln): der Wehrmachtbefehlshaber Südost,

g) in Ostland und Ukraine: die Wehrmachtbefehlshaber Ostland und Ukraine,

h)  im Heimatkriegsgebiet: die Kommandierenden Admirale.

 

2. Die in III. 1. bestimmten Befehlshaber haben im Rahmen dieser Aufgabe Befehlsbefugnis­se gegenüber den Kommandobehörden der Wehrmachtteile, den eingesetzten deutschen zivilen Dienststellen sowie gegenüber den in ihrem Bereich befindlichen Verbänden und Gliederungen außerhalb der Wehrmacht.

In Ausübung dieser Befugnisse geben sie die für die Verteidigung der Küsten erforderli­chen taktischen, organisatorischen und Versorgungsanordnungen und überzeugen sich von ihrer Durchführung. Auf die Ausbildung nehmen sie soweit Einfluß, wie es der Ein­satz für den Kampf zu Lande erfordert. Die erforderlichen Unterlagen sind ihnen zur Verfugung zu stellen.

 

3. Im Rahmen der zu treffenden Anordnungen und Ma6nahmen sind in erster Linie sicherzustellen:

 

a) die Einbeziehung sämtlicher militärisch und wehrwirtschaftlich wichtigen Anlagen, besonders auch der Kriegsmarine (U-Bootbasen) und Luftwaffe, in befestigte Raume oder Stutzpunkte,

b) einheitliche Steuerung der Küstenüberwachung,

c) die infanteristische Abwehr der befestigten Räume und Stutzpunkte,

d) die infanteristische Abwehr aller außerhalb der befestigten Raume und Stutzpunkte befindlichen Einzelposten, z. B. Küstenwachen, Flugmeldeposten,

e) die artilleristische Abwehr gegen Landziele (bei Einsatz neuer und Umstellung bereits vorhandener Küstenbatterien haben die Forderungen des Seekrieges den Vorrang),

f) die Abwehrbereitschaft, der Ausbau und die Bevorratung der Anlagen ebenso wie die Abwehrbereitschaft und Bevorratung außerhalb von Anlagen befindlicher Einzelposten (hierzu gehört auch die Ausstattung mit den für die Verteidigung erforder­lichen Waffen, Minen, Handgranaten, Flammenwerfern, Hindernismaterial usw3,

g)  die Nachrichtenverbindungen,

h)  die Überprüfung der Alarmbereitschaft und der infanteristischen und artilleristischen Ausbildung im Rahmen der gestellten Abwehraufgaben.

 

4. Die gleichen Befugnisse erhalten die Kommandeure der örtlichen Kommandobehörden bis zu den Abschnittsbefehlshabern, soweit ihnen die verantwortliche Verteidigung der Küstenabschnitte übertragen ist.

Als solche sind von den nach III. 1. - eingesetzten Befehlshabern im allgemeinen die Kommandeure der im Küstenschutz eingesetzten Divisionen des Heeres, in Kreta der ,,Fe­stungskommandant Kreta” zu bestimmen.

Soweit es ihre sonstigen Aufgaben erlauben, sind in einzelnen Abschnitten oder Unterab­schnitten, besonders aber in ausgesprochenen Luft- und Marinestützpunkten die örtli­chen Kommandanten oder Befehlshaber der Luftwaffe oder der Kriegsmarine mit der Verantwortung für die Gesamtverteidigung zu betrauen.

 

5. Seestreitkräfte und die Streitkräfte der Luftwaffe für operative Kriegführung unterstehen der Kriegsmarine bzw. der Luftwaffe. Sie sind jedoch bei feindlichen Angriffen auf die Küsten gehalten, den Anforderungen der für die Abwehr verantwortlichen Befehlshaber im Rahmen ihrer taktischen Möglichkeiten zu entsprechen. Sie müssen daher in den Nachrichtenaustausch als Grundlage ihres Einsatzes eingegliedert sein. Mit ihren Kommandobehörden ist enge Verbindung zu halten.

1. Sonderaufgaben der Wehrmachtteile im Rahmen der Küstenverteidigung.

 

1. Kriegsmarine:

a)  Organisation und Schutz des Küstenverkehrs,

b) Ausbildung und Einsatz der gesamten Küstenartillerie gegen Seeziele,

c)  Einsatz der Seestreitkräfte.

 

2. Luftwaffe:

a) Luftverteidigung in den Küstengebieten.

Die Heranziehung der zur Abwehr von feindlichen Landungen geeigneten und verfügbaren Flak-Artillerie nach Anweisung der örtlichen für die Verteidigung verant­wortlichen Befehlshaber wird hierdurch nicht berührt.

b) Ausbau der Flieger-Bodenorganisation und ihres Schutzes gegen Angriffe aus der Luft und gegen überraschende Angriffe auf der Erde, letzteres, soweit die Flugplatze nicht in die Küstenverteidigung einbezogen und hierdurch nicht ausreichend gesi­chert sind.

c)  Einsatz der operativen Luftstreitkräfte.

Aus diesen Sonderaufgaben sich ergebende Doppelunterstellungen müssen in Kauf ge­nommen werden. V. Dieser Weisung entgegenstehende Befehle und Anordnungen treten mit dem s. 4. 1942 außer Kraft. Neue Kampfanweisungen, die auf Grund meiner Weisung von den verantwortlichen Be­fehlshabern erlassen werden, sind mir über das OKW vorzulegen.

 

(gez.) Adolf Hitler

F.d.R.

Hornig

Hauptmann